Bevor der Bagger schreitet…
-Denkmalschutz: Aufgabe und Chance im Rahmen der Stadtsanierung -
Denkmalschutz wird ein gravierendes Argument beim kommenden Rahmenplan für die weitere Sanierung der Tailfinger Innenstadt sein müssen. “Uns fehlt einfach das Personal”, stöhnt freilich Dr. Hans-Günter Brand, der für Albstadt zuständige Sachbearbeiter des Landesdenkmalamtes bei der Aussenstelle Tübingen, jetzt dem Regierungspräsidum untergeordnet.
Die letzte Inventarisierung schutzwürdiger Gebäude liegt 12 Jahre zurück. Neben der katholischen und den zwei evangelischen Kirchen im Ortskern sowie als einziges Wohnhaus, der ´Bauernscheuer`, stehen nur zwei Industriegebäude auf der Liste, von ehemaligen Textilfabriken. Jenes von Ludwig Haasis in der Eisenbahnstraße, im Bauhaus-Stil errichtet, heute ´musicland`. Und jenes von Balthasar Blickle`s Witwe mit Jugendstil-Fassade und -Fluren in der Goethestraße, das ehemalige Café ´l´Etage`, heute Lagerraum der Textilfabrik Comazo.
Der Leiter des Stadtplanungsamtes Albstadt, Gerhard Kuntz, unterscheidet drei Kategorien von schutzwürdigen Kultur-Denkmälern: Einfache wie Brunnen oder Gebäude-Inventar, höherwertige, wie Gebäude in Alleinlage, dann noch Gebäudereihen, die dem Ensembleschutz unterliegen.
Eine Reihe bietet sich etwa mit der Ecke Goethestraße/Martin-Luther-Straße und den Fabrikgebäuden von Blickle´s Witwe, Comazo und Karl-Bitzer zur Rose an. Aber auch mit der Kette von rein mit privaten Mitteln ihrer Eigentümer schön hergerichteten historischen Villen in der Landhaus-, Wolfsgruben-, Lammerberg- Panorama- und Schlossstraße.
In solchen Strukturen liegt für Tailfingen eine große Chance, sein im 20.Jahrhundert, spätestens seit der Erhebung zur Stadt im Jahr 1930 gewachsenes Ortsbild der Nachwelt, Neubewohnern und auch für den Tourismus attraktiv wie überschaubar zu gestalten.
Die Verkaufs-Preise für viele nicht nur wegen ihrer feingliedrigen Architektur und ihrer Ausstattung, sondern auch von ihrer außerordentlichen Bausubstanz her schutzwürdigen Gebäude der ehemaligen ´Trikotstadt` Deutschlands sind in Tailfingen auf einem Tiefststand angekommen.
Nur noch Verfügungsmasse?
Manch selbstbewusster und vermögender Textiler hat sich in der Blütezeit seines Gewerbes in Treppenhäuser und mittlerweile umfunktionierte Wintergärten daheim manches Kunstwerk einbauen lassen. Seitdem ihr mit schillernden Glasfenstern und Brauerei-Motiven ausgestattetes Elternhaus in der Charlottenstrasse zum Verkauf steht, mussten die Nachfahren der renommierten Hanna-Brauerei Bitzer und Schneider beobachten, dass solche Preziosen von einer türkischen Familie nach Erwerb einer ähnlichen Immobilie in der Nähe ein halbes Jahr später im Container entsorgt wurden.
Für Walter Laugwitz vom Bauamt in Albstadt, zugleich Referent der unteren Denkmalschutzbehörde, kann Denkmalschutz jedoch auch finanzielle Vorteile haben. Wem gelinge, seine Immobilie unter solchen Schutz zu stellen, könne nach bestimmten Vorgaben die Renovierungsmaßnahmen mithilfe der so genannten steuerlichen Abschreibung für Altbauten (Afa) auf zehn Jahre hin finanzieren lassen. Ein hilfreiches Argument zudem, solche Gebäude Käufern schmackhaft zu machen.
Fakultativ:
Obwohl dies gleichermaßen für alte Industriebauten gilt, kommen jetzt freilich noch erhöhte Brandschutzauflagen seitens der Kommunen dazwischen, welche vor allem Treppenhäuser geschlossen sehen wollen. Selbst wenn diese gar nicht oder kaum mehr benützt werden, wie im Fall der ehemaligen Produktionsgebäude von Martin Ammann in der Martin-Luther-Straße. Bei Mieteinnahmen von 12000 Euro pro Jahr drohen dem jetzigen Eigentümer Wilfried Wernet mit seiner pro-vita-Stiftung Investitionen in den Brandschutz, die über weit mehr als hunderttausend Euro gehen. “Das kann ich einfach nicht”, erklärt Werner unmissverständlich, dem allein für die Versicherungkosten sowie die jährliche Instandhaltung etwa der Aufzugs-Maschinerie oder der Heizanlagen des im Heimat- und klassizistischen Stil von 1900-1935 erbauten Gebäudeviertels die ganzen Mieteinnahmen geschluckt werden.
Michael Hakenmüller
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